BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 5/03
Verkündet am:
14. März 2005
in dem Rechtsstreit
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 14. März
2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c.
Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Dr.
Kurzwelly, Münke und Dr. Gehrlein
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
der 10. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom
2. Dezember 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, die sich mit der Herstellung und
dem Vertrieb von technischen Gasen befasst,
stellte der U. Ltd. (nachfolgend U. Ltd.) für
vertraglich vereinbarte Gaslieferungen und
Vermietung von Gasflaschen in den Jahren 2000
und 2001 einen - unstreitigen - Gesamtbetrag von
3.393,87 DM in Rechnung. Die U. Ltd., deren
Geschäftsführer und Mitgesellschafter der
Beklagte ist, wurde schon vorher - am 11.
Februar 2000 - gemäß dem Companies Act 1985 im
Companies House, C./UK als private limited
company mit eingetragenem (Haupt-)Sitz in L.
registriert.
Die
gesamte Geschäftstätigkeit der Gesellschaft
fand hingegen - von ihrem tatsächlichen
Verwaltungssitz in G. aus - nur in Deutschland
statt, ohne dass deren Eintragung in ein
deutsches Handelsregister erfolgt wäre. Die
Rechnungen der Klägerin blieben unbezahlt. Auf
einen gegen die U. Ltd. gestellten
Insolvenzantrag wurde durch Beschluss des
Amtsgerichts H. vom 20. September 2001 die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse
abgelehnt.
Die Klägerin nahm daraufhin wegen der
unbeglichenen Rechnungen den Beklagten als für
die U. Ltd. Handelnden persönlich in Anspruch
und erwirkte gegen ihn einen
Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts H. vom
16. Juli 2002. Auf den Einspruch des Beklagten
hat das zuständige Amtsgericht S. den
Vollstreckungsbescheid - mit Ausnahme eines
Teils der Nebenforderungen - aufrechterhalten.
Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten
blieb erfolglos. Mit der vom Landgericht
zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte
weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten ist begründet und
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der
Beklagte hafte wegen Fehlens einer Eintragung
der U. Ltd. als Gesellschaft mit beschränkter
Haftung in einem deutschen Handelsregister als
handelnder Gesellschafter-Geschäftsführer
analog § 11 Abs. 2 GmbHG persönlich für die
in ihrem Namen begründeten Kaufpreis- und
Mietzinsverbindlichkeiten gegenüber der
Klägerin.
Europarechtliche
Normen stünden einer persönlichen Haftung des
Beklagten nicht entgegen. Zwar verstoße es nach
der Rechtsprechung des Gerichtshofes der
Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: EuGH)
im Urteil vom 5. November 2002 (ZIP 2002, 2037 -
Überseering) gegen die Niederlassungsfreiheit
(Art. 43, 48 EG), wenn einer nach dem Recht
eines Mitgliedstaates wirksam gegründeten
Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat, in
den sie ihren Verwaltungssitz verlegt habe, die
Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit
abgesprochen werde; jedoch rechtfertigten
zwingende Gründe des Gemeinwohls
Beschränkungen der
Niederlassungsfreiheit.
Im
Gläubigerinteresse sei durch Anwendung der
Sitztheorie sicherzustellen, dass eine im
Ausland gegründete Kapitalgesellschaft mit
Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland - wie hier
die U. Ltd. - den deutschen
Gründungsvorschriften unterworfen werde. Ihrer
Umgehung müsse durch eine persönliche Haftung
der für die Auslandsgesellschaft handelnden
Personen analog § 11 Abs. 2 GmbHG begegnet
werden.
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
II. 1. Das Berufungsurteil ist allerdings nicht
bereits wegen Fehlens eines Tatbestandes gemäß
§ 540 ZPO als eines von Amts wegen zu
berücksichtigenden Verfahrensmangels
aufzuheben. Zwar enthält das Urteil des
Landgerichts über die - insoweit zulässige -
Inbezugnahme der tatsächlichen Feststellungen
des amtsgerichtlichen Urteils hinsichtlich des
erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes (§
540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) hinaus keine Ausführungen
zum zweitinstanzlichen Begehren des Beklagten
als Berufungskläger. Jedoch ist - was ausreicht
(vgl. BGH, Urt. v. 26. Februar 2003 - VIII ZR
262/02, NJW 2003, 747 m.w.Nachw.; st.Rspr.) -
dem Gesamtzusammenhang der Begründung des
Berufungsurteils (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch
mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass
der Beklagte mit der Berufung gegen seine
Verurteilung durch das Amtsgericht sein
Klageabweisungsbegehren unverändert
weiterverfolgt.
2. Das Urteil des Landgerichts hat aber deshalb
keinen Bestand, weil die Gleichsetzung der
wirksam als limited liability company
gegründeten und damit nach englischem Recht
rechtsfähigen U. Ltd. mit einer - mangels
Eintragung in einem deutschen Handelsregister -
nicht als GmbH existenten Gesellschaft (§ 11
Abs. 1 GmbHG) und die daraus abgeleitete
persönliche Handelndenhaftung des Beklagten als
Geschäftsführer analog § 11 Abs. 2 GmbHG für
die Verbindlichkeiten der U. Ltd. aus den von
ihm selbst in deren Namen abgeschlossenen Kauf-
und Mietverträgen mit der Klägerin mit der in
Art. 43 und 48 EG garantierten
Niederlassungsfreiheit unvereinbar ist.
a) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die in
einem Vertragsstaat nach dessen Vorschriften
wirksam gegründete Gesellschaft in einem
anderen Vertragsstaat - unabhängig von dem Ort
ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes - in der
Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet
wurde (vgl. EuGH, Urt. v. 5. November 2002 - Rs
C-208/00, ZIP 2002, 2037 - Überseering;
bestätigt durch EuGH, Urt. v. 30. September
2003 - Rs C-167/01, ZIP 2003, 1885 - Inspire
Art; vgl. auch BGHZ 154, 185, 189; vgl. ferner
zur vergleichbaren Rechtslage beim
Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrag,
Handelsvertrag und Schiffahrtsvertrag: BGHZ 153,
353, 356 f.; Sen.Urt. v. 5. Juli 2004 - II ZR
389/02, ZIP 2004, 1402 m.w.Nachw.; BGH, Urt. v.
13. Oktober 2004 - I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230,
2231).
Aus
der Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer
solchen Gesellschaft folgt zugleich, dass deren
Personalstatut auch in bezug auf die Haftung
für in ihrem Namen begründete
rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten
einschließlich der Frage nach einer etwaigen
diesbezüglichen persönlichen Haftung ihrer
Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber
den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist
(vgl. BGHZ 154, 185, 189 - auch zur passiven
Parteifähigkeit; BGH, Urt. v. 23. April 2002 -
XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 f.; Sen.Urt. v.
5. Juli 2004 aaO, S. 1403).
Danach scheidet im vorliegenden Fall eine
Haftung des Beklagten analog § 11 Abs. 2 GmbHG
für die von ihm als Geschäftsführer namens
der U. Ltd. rechtsgeschäftlich begründeten
Verbindlichkeiten aus; nach dem für das
Personalstatut dieser private limited company
(Kapitalgesellschaft) massgeblichen englischen
Recht haftet deren Geschäftsführer als
Leitungsorgan - wie im deutschen GmbH-Recht -
grundsätzlich nicht persönlich für solche
Gesellschaftsverbindlichkeiten.
b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des
EuGH ist es selbst unter
Gläubigerschutzgesichtspunkten mit dem
Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn das
Landgericht im vorliegenden Fall hinsichtlich
der Frage einer Haftung des
Gesellschafter-Geschäftsführer der U. Ltd.
deren massgebliches Personalstatut
(ausnahmsweise) nicht an das am Ort ihrer
Gründung geltende Recht, sondern an das Recht
ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes
anknüpfen will.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des EuGH
anerkannt, dass zwingende Gründe des
Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen der
Gläubiger u.a. unter bestimmten Umständen und
unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen
Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit
rechtfertigen können (EuGH, ZIP 2002 aaO Tz. 92
- Überseering; EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 132 f. -
Inspire Art). Das Berufungsgericht hat jedoch
verkannt, dass eine Behinderung der durch den
EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch
nationale Massnahmen allenfalls unter vier engen
Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann: Die
Maßnahmen müssen in nicht diskriminierender
Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden
Gründen des Allgemeininteresses entsprechen,
sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles
geeignet sein und sie dürfen nicht über das
hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels
erforderlich ist (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 133
m.w.Nachw. - Inspire Art).
Danach
stellt sogar die bewusste Ausnutzung
unterschiedlicher Rechtssysteme für sich allein
genommen noch keinen Missbrauch dar, auch wenn
sie in der offenen Absicht erfolgt, die "grösste
Freiheit" zu erzielen und mit einer
ausländischen Briefkastengesellschaft die
zwingenden inländischen Normativbestimmungen zu
umgehen (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 96 f., 137 ff.
m.w.Nachw. - Inspire Art).
Da
die Bestimmungen über das Mindestkapital
insoweit mit der durch den Vertrag garantierten
Niederlassungsfreiheit unvereinbar sind, gilt
zwangsläufig dasselbe für die Sanktionen, die
an die Nichterfüllung der fraglichen
Verpflichtungen geknüpft sind, d.h. die
Anordnung einer persönlichen
(gesamtschuldnerischen) Haftung der
Geschäftsführer in dem Fall, dass das Kapital
nicht den im nationalen Recht vorgeschriebenen
Mindestbetrag erreicht oder während des
Betriebes unter diesen sinkt.
Folglich
rechtfertigen weder Art. 46 EG noch der
Gläubigerschutz die Bekämpfung der missbräuchlichen
Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit oder die
Erhaltung der Lauterkeit des Handelsverkehrs die
Behinderung der durch den Vertrag garantierten
Niederlassungsfreiheit, wie sie nationale
Rechtsvorschriften über das Mindestkapital und
eine persönliche (gesamtschuldnerische) Haftung
der Geschäftsführer darstellen (EuGH, ZIP 2003
aaO Tz. 142 - Inspire Art).
c) Eine persönliche Haftung des Beklagten
analog § 11 Abs. 2 GmbHG kann schliesslich -
entgegen der Ansicht der Klägerin - auch nicht
daraus abgeleitet werden, dass der Beklagte als
Geschäftsführer es entgegen §§ 13 d ff. HGB
unterlassen hat, die
"Zweigniederlassung" der U. Ltd. zum
Handelsregister anzumelden.
Zwar
verpflichtet Art. 12 der 11. Richtlinie
89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1999 die
Mitgliedstaaten, geeignete Maßregeln für den
Fall anzudrohen, dass die erforderliche
Offenlegung der Zweigniederlassungen im
Aufnahmestaat unterbleibt. Gleichwohl müssen
die Mitgliedstaaten, denen zwar die Wahl der
Sanktion verbleibt, namentlich darauf achten, dass
Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach
ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen
Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere
gleiche Verstösse gegen nationales Recht, wobei
die Sanktion nicht nur wirksam und abschreckend,
sondern auch verhältnismässig sein muss (EuGH,
ZIP 2003 aaO Tz. 62, 133 - Inspire Art).
Schon
danach bleibt festzustellen, dass die offenbar
vom Berufungsgericht befürwortete Sanktion der
persönlichen Haftung des Beklagten als
Geschäftsführer wegen Nichterfüllung der
Anmeldungspflicht weder gesetzlich vorgesehen
ist noch etwa im Wege der Rechtsfortbildung in
Betracht käme.
Als
zulässige Sanktion im Sinne der 11. Richtlinie
des Rates sieht das deutsche Recht in § 14 HGB
allein die Festsetzung von Zwangsgeld für den
Fall der Nichterfüllung der Anmeldepflicht pp.
vor, nicht hingegen haftungsrechtliche
Konsequenzen.
III. Aufgrund der unter Nr. II, 2 aufgezeigten
Rechtsfehler unterliegt das Berufungsurteil der
Aufhebung (§ 562 ZPO). Mangels
Endentscheidungsreife ist die Sache an die
Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1
ZPO).
Der Klägerin ist auf ihre Gegenrüge hin unter
dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen
Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie eines fairen
Verfahrens (Art. 2, 20 GG) Gelegenheit zu geben,
in der wiedereröffneten Berufungsinstanz ihr
Klagebegehren nunmehr auf - bislang nicht
geltend gemachte - etwaige Haftungstatbestände
des materiellen englischen Rechts oder des
(deutschen) Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) zu
stützen und hierzu weiteren Sachvortrag zu
halten.
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RoDi
jusdi101 |